Background zum Gespräch über Generationenwechsel von Robert Waldl mit Philipp Blom auf Ö1

Die Kunst des Loslassens:

Anhand des späten Rückzugs von Joe Biden von seiner Position als nächster Präsidentschaftskandidat der Demokraten kann man sehen, wie schwer es manchen Senior Leadern fällt den Stab an die nächste Generation weiter zu geben. Warum ist es für viele so schwierig sich vom beruflichen Lebenswerk zurück zu ziehen? Und wie kann man die Kunst des Loslassens lernen?

In meinen Beratungsprozessen für Familienunternehmen sehe ich oft vergleichbare Situationen:

In vielen Familienunternehmen gibt es eine(n) Senior der großes geleistet hat, dem dafür auch viel Respekt gezollt wird. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass der Senior eigentlich schon zu alt ist, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Wenn der Senior sich bereits in der Nachspielzeit befindet, steigt oft seine Fehleranfälligkeit. Die wiederholten Versprecher von Joe Biden sind dafür ein drastisches Beispiel. Um kundenseitig die jüngere Generation anzusprechen, braucht es auch frische Ideen und jüngere Personen auf der Ebene der Geschäftsführung.

In fast allen Führungskräfte-Coaching sehe ich, dass Menschen in Topjobs ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Organisation haben. Sie glauben, dass ihr Rückzug negative Konsequenzen für das Unternehmen haben könnte und dass sie weiterhin gebraucht werden. Diese Personen haben für das Unternehmen oft große und entscheidende Beiträge geleistet. Leider übersehen sie oft den Zeitpunkt, an dem es am besten wäre, den Übergang an die nächste Generation vorzubereiten. Im schlimmsten Fall zögern sie den Generationenwechsel so lange hinaus, dass sie die Fortbestand ihres eigenen Lebenswerkes gefährden.

An dieser Stelle muss jedoch auch erwähnt werden, dass es sich hier keinesfalls um einen einheitlichen Trend handelt. Es gibt natürlich viele Inhaber:innen von Unternehmen, die ihre Firma gerne an eine Nachfolge weitergeben würden, das aber nicht können, weil sie niemanden dafür finden.

Warum haben viele Firmengründer:innen Probleme beim loslassen? 

Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten. Ich kenne aus meiner Beratungspraxis für Familienunternehmen viele ganz unterschiedliche Beispiele. Der große emotionale schmerzhafte Abschied wird immer wieder aufgeschoben. Fast immer sind Verlustängste im Spiel. Mit dem Führungsjob auch die Wichtigkeit und die Anerkennung aufzugeben, bereitet vielen großes Unbehagen. Weitere Ängste betreffen die Leere, die sich einstellen könnte, wenn die Tagesstruktur wegfällt.

Der Übergabe- und Nachfolgeprozess im Familienunternehmens ist jedenfalls eine der größten Herausforderungen, denen sich Seniorchef:innen stellen müssen. Für viele ist das Unternehmen nicht nur eine berufliche Verpflichtung, sondern ein Lebenswerk, in das sie jahrelang all ihre Zeit, Energie und Emotionen investiert haben. 

Der Übergang zu einer Nachfolge ist daher nicht nur eine geschäftliche Entscheidung, sondern auch eine zutiefst persönliche und emotionale Erfahrung. Hier kommt die Notwendigkeit ins Spiel, neben juristischer und steuerlicher Beratung auch psychologische Unterstützung durch einen Coach oder Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen.

Zwei Beispiele aus meiner Praxis in der Nachfolge-Beratung für Familienunternehmen:

1. Beispiel: Eine über 70-jährige sehr eloquente Firmenchefin in der Modebranche wird von ihren erwachsenen Töchtern als unnahbar und despotisch erlebt. Alle Entscheidungen treffe sie alleine, ohne die mitarbeitenden Familienmitglieder einzubeziehen oder rechtzeitig zu informieren. Die Übergabe des Unternehmens wird nicht besprochen. Statt zu diskutieren, fahre sie über alle drüber. Im Familien-Coaching für die Unternehmerfamilie zeigt die Senior-Chefin jedoch eine ganz andere Seite. Sie ist sehr empathisch und informiert über die vielen Sorgen und Probleme, die ihre verheirateten Töchter mit ihren Partnern und Kindern haben. Sie möchte ihre Töchter nicht mit noch mehr Verantwortung, Problemen und Entscheidungsdruck belasten. Sie hat für alle Herausforderungen des Lebens immer nur eine Antwort gehabt: Da muss man hart arbeiten und durchhalten. Die Belastung durch das Unternehmens von ihren Töchtern fern zu halten, sieht sie als letzte große Aufgabe in ihrem Leben. 

Im Coaching wird die große Stressbelastung von allen Familienmitgliedern deutlich. Im Laufe der Gespräche erschließen sich Möglichkeiten, anders damit umzugehen. Es wird eine Familienstrategie erarbeitet und im Lauf von einem Jahr schrittweise umgesetzt. Beide Töchter werden gleichberechtigte Gesellschafterinnen im Unternehmen. Für deren Arbeit in der Geschäftsführung wird ein variabler Schlüssel gefunden. Im letzten Gespräch sagte die ehemalige Firmenchefin etwas, was viele in der Runde zu Tränen rührt. Sie habe durch ihr hohes berufliches Engagement einen Teil der Kindheit ihrer beiden Töchter nicht aktiv miterlebt. Sie bedankte sich bei ihren Töchtern für das große Vertrauen, welches diese in sie als Großmutter haben und für die Bereicherung jetzt so viel Zeit mit den Enkelkindern verbringen zu dürfen. 

2. Beispiel: Ein hoch erfolgreiches über 60-jähriges Winzerehepaar kommt mit den beiden Söhnen in ein Familien-Coaching. Beide Söhne sind international als Winzer top ausgebildet. Sie zeigen jedoch wenig Interesse das Unternehmen der Eltern zu übernehmen und machen lieber ihr eigenes Business im Weingroßhandel. Als Grund geben Sie an, dass das Unternehmen komplett falsch, nämlich streng hierarchisch geführt werde und der Vater uneinsichtig sei. Außerdem sei der Vater cholerisch und nicht bereit, wirklich zurückzutreten. Tatsächlich hat der Vater in den letzten 40 Jahren jedes Detail in seinem Unternehmen persönlich entschieden. Jetzt ist in mehrfacher Hinsicht Feuer am Dach. Der Kellermeister des Unternehmens ist in der Branche sehr bekannt. Jetzt hat er ein Angebot von einem Mitbewerber erhalten. Am neuen Arbeitsplatz würde man ihn als Fachmann völlig selbstständig entscheiden und arbeiten lassen. Zusätzlich hat der Arzt dem Senior-Winzer ein Ultimatum gestellt. Er rät ihm krankheitsbedingt ultimativ zu einer Operation mit anschließender Kur und zusätzlich zu einem achtwöchigen Urlaub. 

In den letzten 40 Jahren hat das Winzer Ehepaar nie mehr als drei Tage Urlaub am Stück gemacht. Der hartgesottene Unternehmer spricht von seiner Angst, dass im Unternehmen alles auseinander fallen würde, wenn er einmal eine Woche nicht da wäre. Als Geschäftsführer zurückzutreten käme für ihn einfach nicht infrage, weil er auch gar nicht wisse, was er dann mit seiner Zeit tun solle sagt er weinend. Letztlich willigt er in eine Umstrukturierung des Unternehmens und seinen völligen Rückzug ein. Die Söhne übernehmen zunächst die Geschäftsführung und nach Umgründungen auch die Gesellschaftsanteile. Im Unternehmen wird kurzfristig eine zweite Führungsebene etabliert. Der Kellermeister bekommt seine Führungsposition. Der Senior-Winzer behält einen großen Versuchsweingarten und geht fast zwei Jahre in Psychotherapie. Heute bereist er mit seiner Frau alle Weingärten dieser Welt und bringt seinen Söhnen so manches Know how mit.

Der Weg des Loslassens:

Wie bei einem Trauerprozess gilt es auch beim Loslassen des Lebenswerkes verschiedene Stufen zu nehmen:

Zunächst geht es darum den Verluste zu realisieren und zu akzeptieren, den eine Übergabe mit sich bringt: Die bisherige Tagesstruktur und Rolle als Unternehmensleiter:in sind vorbei. Professionelle Unterstützung, kann dabei helfen, diesen Verlust als Realität zu akzeptieren und neue Routinen zu entwickeln.

Verarbeitung von Trauer, Angst vor Leere und anderen negativen Gefühlen: Die neuen Umstände können zu körperlichen und emotionalen Reaktionen führen, wie Erschöpfung, Schlaflosigkeit oder Isolation. Psychotherapie kann hier Unterstützung bieten, um diese Gefühle zu verarbeiten und einen gesunden Umgang damit zu finden.

Neuorientierung: Die/der ehemalige Seniorchef:in muss neue Strukturen und ausreichend soziale Beziehungen aufbauen. Hierbei kann eine professionelle Hilfe unterstützend sein, neue Interessen und Aktivitäten zu entdecken, die dem Leben wieder Sinn und Richtung geben.

Foto: Robert Waldl

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