Full-Text Downlaod des Artikels: Verhalten und Verhältnisse verstehen und verändern – Coaching für Führungskräfte auf Basis der Personzentrierten Systemtheorie
Die Beziehung zwischen Coach und Coachee ist das zentrale Fundament jedes Coaching-Prozesses. Jede Intervention, jede Frage, die ein Coach stellt, beeinflusst diese Beziehung und fokussiert die Aufmerksamkeit auf spezifische Aspekte. Paul Watzlawicks bekanntes Zitat „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (1974) betont, dass jede Handlung oder Unterlassung auf der Beziehungsebene wirkt. Das bedeutet: Keine Coaching-Intervention bleibt beziehungsneutral, selbst wenn keine ausdrücklich beziehungsgestaltende Absicht besteht.
Die Bedeutung der Beziehung im Coaching-Kontext
Die Gestaltung der Beziehung ist keine rein intuitive Komponente, sondern eine gezielte und bewusste Kompetenz, die entscheidend für den Erfolg im Führungskräfte Coaching, Business Coaching, Leadership Coaching, Executive Coaching und Team Coaching ist. In jeder dieser Coaching-Formen liegt der Fokus darauf, eine tragfähige, empathische Beziehung aufzubauen, die Vertrauen schafft und die Grundlage für nachhaltige Veränderungen bildet. Doch wie kann diese Beziehung bewusst gestaltet werden, und welche Rolle spielen dabei unterschiedliche Beziehungsebenen?
Vier zentrale Beziehungsebenen im Coaching
Coaches navigieren im Prozess zwischen verschiedenen Beziehungsebenen, um die Bedürfnisse der Coachees optimal zu erfassen und zu bearbeiten. Diese Ebenen sind:
1. Arbeitsbeziehung:
Die Arbeitsbeziehung bildet die Basis für den gesamten Prozess. Sie ist durch klare Ziele, eine transparente Rollenverteilung und gegenseitige Verbindlichkeit gekennzeichnet. Sie schafft eine stabile Grundlage, die für die Zusammenarbeit unabdingbar ist. Heltzel (2014) beschreibt die Arbeitsbeziehung als „Arbeitsbündnis zwischen Berater und Management“, das entscheidend ist, um „miteinander die Arbeit aufzunehmen“ (S. 155). Finke (1999) betont die Bedeutung eines strukturierten Vorgehens in der Arbeitsbeziehung, das den Coachees Sicherheit gibt und eine klare Zielverfolgung ermöglicht.
2. Alter-Ego-Beziehung:
Die Alter-Ego-Beziehung stellt Empathie und Perspektivübernahme in den Vordergrund. Coaches versuchen, sich in die innere Welt des Coachees hineinzuversetzen, um dessen Gefühle, Gedanken und Motive zu verstehen. Biermann-Ratjen et al. (2016) betonen, dass es dabei nicht nur um Gefühle, sondern auch um die Verbalisierung von Bedeutungen geht (S. 16). Die Alter-Ego-Beziehung hat laut Finke (1999) eine erlebnisaktivierende Wirkung und mobilisiert Ressourcen, indem sie Coachees hilft, ihre Perspektiven zu erweitern und neue Handlungsspielräume zu entdecken. Diese Form der Beziehung ist im Führungskräfte-Coaching besonders wertvoll, da sie sowohl entlastend wirkt als auch einen Ausgangspunkt für Problemlösungen bildet. Eine Führungskraft formulierte es so: „Ich lerne bei Ihnen, wie ich Mitarbeiter:innen verstehen und motivieren kann.“
3. Übertragungs- und Gegenübertragungsbeziehung:
In dieser Beziehungsebene werden Beziehungsmuster sichtbar, die Coachees aus ihrer Organisation oder ihrem Umfeld mitbringen. Finke (1999) beschreibt, dass konflikthafte Übertragungen in Coaching-Prozessen genutzt werden können, um Einsichten in inkongruente Beziehungserwartungen zu schaffen (S. 73). Wichtig ist dabei, die Gegenübertragung des Coaches als diagnostisches Instrument einzusetzen. Heltzel und Weigand (2014) betonen, dass Coaches ihre Gefühle im Kontakt mit Coachees beobachten sollten, da sie wertvolle Hinweise auf deren Innenleben und Organisationsdynamik geben können (S. 81). Finke hebt hervor, dass die bewusste Auseinandersetzung mit Übertragungsprozessen dazu beiträgt, versteckte Konflikte aufzudecken und Lösungen zu entwickeln.
4. Dialog-Beziehung:
Die Dialog-Beziehung zeichnet sich durch Authentizität und Wechselseitigkeit aus. Coaches treten hier als reale Personen auf und bringen ihre eigenen Erfahrungen und Perspektiven ein. Pfeifer (1991) beschreibt, dass diese Ebene durch die Prinzipien Echtheit und Präsenz geprägt ist (S. 34). Sie ermöglicht es, Coachees mit respektvollem Feedback zu konfrontieren und gemeinsam neue Lösungen zu erarbeiten. Im Executive Coaching zeigt sich die Dialog-Beziehung als besonders wertvoll, da sie Coachees die Möglichkeit bietet, in einem geschützten Rahmen ehrliches Feedback zu erhalten.
Empathie als Grundlage der Beziehungsgestaltung
Die Personzentrierte Systemtheorie, die auch in der Psychotherapie Anwendung findet, hebt Empathie als zentrale Haltung hervor. Empathie bedeutet, den Coachee in seiner individuellen Erlebniswelt zu verstehen und ihm das Gefühl zu vermitteln, mit seinen Herausforderungen nicht allein zu sein. Diese Haltung ermöglicht es, eine offene und vertrauensvolle Beziehung zu schaffen, die Raum für Veränderung bietet.
In der Praxis des Führungskräfte Coachings zeigt sich, dass empathisches Zuhören nicht nur entlastend wirkt, sondern auch die Grundlage für kreative Problemlösungen schafft. Eine empathische Beziehung eröffnet Coachees neue Perspektiven und befähigt sie, ihren Handlungsspielraum zu erweitern.
Praktische Ansätze zur Beziehungsgestaltung
- Aktives Zuhören: Im Business Coaching ist aktives Zuhören ein zentrales Werkzeug, um Gruppendynamiken zu verstehen und Vertrauen aufzubauen. Der Coach zeigt durch gezieltes Nachfragen und Paraphrasieren, dass er die Anliegen der Coachees ernst nimmt und versteht.
- Klarheit und Struktur: Besonders in der Beratung für Unternehmen ist es wichtig, klare Strukturen zu schaffen. Dies betrifft nicht nur die Zieldefinition, sondern auch die Gestaltung des gesamten Coaching-Prozesses. Eine klare Struktur hilft, Unsicherheiten zu reduzieren und eine produktive Arbeitsatmosphäre zu schaffen.
- Flexibilität und Anpassung: Jeder Coachee bringt individuelle Bedürfnisse und Erwartungen mit. Die Fähigkeit, zwischen den verschiedenen Beziehungsebenen zu wechseln und sich flexibel auf die Situation einzustellen, ist eine essenzielle Kompetenz im Executive Coaching und Leadership Coaching.
- Reflexion und Feedback: Regelmäßige Reflexionen des Beziehungsprozesses und offenes Feedback tragen dazu bei, die Beziehung kontinuierlich zu optimieren. Im Coaching für Familienunternehmen kann dies dazu beitragen, generationsübergreifende Spannungen zu klären und eine gemeinsame Vision zu entwickeln.
Herausforderungen in der Beziehungsgestaltung
Die Beziehung zwischen Coach und Coachee ist nicht immer frei von Spannungen. Widerstände und Missverständnisse können auftreten, sei es aufgrund unterschiedlicher Erwartungen oder unbewusster Übertragungen. Ein erfahrener Coach erkennt solche Dynamiken und nutzt sie als Chance, um den Coachee besser zu verstehen und den Prozess weiterzuentwickeln.
Ein Beispiel aus der Psychotherapie zeigt, wie wichtig es ist, auf Widerstände flexibel und empathisch zu reagieren. Eine Coachee zeigte wiederholt Vorbehalte gegenüber bestimmten Interventionen, was zunächst als Ablehnung interpretiert wurde. Bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass die Coachee unsichere Erfahrungen mit ähnlichen Methoden gemacht hatte. Durch offene Gespräche und eine Anpassung der Vorgehensweise konnte die Beziehung gestärkt und der Prozess erfolgreich fortgeführt werden.
Die Rolle der Selbstreflexion im Coaching
Die bewusste Gestaltung der Beziehung erfordert von Coaches ein hohes Maß an Selbstreflexion. Regelmäßige Supervision und Intervision sind essenziell, um das eigene Verhalten und die eigenen Reaktionen im Coaching-Prozess zu hinterfragen. Dies gilt insbesondere für das Führungskräfte-Coaching, wo komplexe Macht- und Abhängigkeitsdynamiken auftreten können.
Ein reflektierter Coach ist in der Lage, sich selbst kritisch zu hinterfragen und dadurch die Beziehung zum Coachee kontinuierlich zu verbessern. Diese Reflexion hilft nicht nur, blinde Flecken zu vermeiden, sondern trägt auch dazu bei, die eigene professionelle Entwicklung voranzutreiben.
Zusammenfassung und Fazit
Die Beziehungsgestaltung ist die Kernkompetenz im Coaching und entscheidend für den Erfolg jedes Prozesses. Ob im Leadership Coaching, Business Coaching oder Team Coaching – eine tragfähige Beziehung ist die Grundlage für nachhaltige Veränderungen. Durch Empathie, Klarheit und Flexibilität können Coaches eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, in der Coachees ihr volles Potenzial entfalten.
Besonders im Coaching für Familienunternehmen und in der Beratung für Unternehmen zeigt sich, wie wichtig es ist, zwischen verschiedenen Beziehungsebenen zu wechseln und diese gezielt einzusetzen. Die Personzentrierte Systemtheorie bietet dabei eine wertvolle Grundlage, um die komplexen Dynamiken in Organisationen und zwischen Individuen zu verstehen und zu gestalten.
Ein erfolgreiches Coaching basiert letztlich auf der Kunst, Beziehungen bewusst und professionell zu gestalten. Coaches, die diese Kompetenz beherrschen, leisten einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung von Individuen, Teams und Organisationen.